Halsband oder Geschirr?

Eine der am kontroversesten geführten Diskussionen in der Hundewelt ist die, ob man seinem Vierbeiner ein Halsband oder ein Geschirr anzieht. Werden Hunde besser mit einem Halsband oder einem Brustgeschirr geführt? Sollten sie ausschließlich ein Halsband tragen? Oder wechselt man zwischen beidem? Die Debatte ist emotional aufgeladen – in Hundeschulen, im Alltag und vor allem im Internet. Es gibt leidenschaftliche Befürworter beider Seiten, oft verbunden mit Vorurteilen gegenüber der „anderen Fraktion“. In diesem Beitrag klären wir, mit Hilfe unserer Tierärztin Dr. Julia Vietmeier, über Vor- und Nachteile auf und nehmen Vorurteile unter die Lupe.

Wirkung auf den Hundekörper

Grundsätzlich kann man sagen, dass es zu dieser Frage keine einfache Antwort gibt, da beide Varianten Vor- und Nachteile haben. Problematisch wird es dann, wenn Hunde nicht gelernt haben, locker an der Leine zu laufen. In solchen Fällen wirken beim dauerhaften Ziehen oder Rucken an der Leine erhebliche Kräfte auf den Hundekörper – und wo diese Kräfte wirken, macht einen großen Unterschied.

Hundehalsband - darauf solltest du Rücksicht nehmen!

Das Halsband liegt an einem hochsensiblen Bereich des Hundekörpers. Hier befinden sich einige wichtige, anatomische Besonderheiten, auf die Rücksicht genommen werden muss! 

- Luftröhre, Schilddrüse, Kehlkopf
- große Blutgefäße und Nerven
- Halswirbelsäule

Durch Druck in diesem Bereich können folgende gesundheitliche Schäden entstehen:

- Mechanische Schäden am Gewebe oder Ischämien (Durchblutungsstörungen)
- Probleme im Kiefer- und Schultergürtelbereich, z. B. Muskelverspannungen
- Symptome wie Unruhe, Müdigkeit oder Reizbarkeit
- Langfristig: Bewegungseinschränkungen oder Lahmheiten der Vorderläufe

Die richte Wahl des Hundehalsbandes

Wenn man sich für das Tragen eines Halsbandes entscheidet, ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, wie leinenführig der eigene Hund ist. Läuft er locker an der Leine? Zieht er Dauerhaft? Oder springt er regelmäßig in die Leine? 

Hat man einen Hund, der sicher und entspannt an der lockeren Leine läuft, ist die Wahl des Halsbands nicht so entscheidend. Hier kann man sich das Halsband aussuchen, welches einem am besten gefällt. 

Kommt es aber doch häufiger vor, dass der Hund an der Leine zieht oder ruckartig in die Leine läuft, hilft es, ein möglichst breites Halsband zu wählen. Hier wird der Zug gut auf den Hundehals verteilt und es kommt nicht so schnell zu Druckspitzen in dem sensiblen Gewebe. Ein Halsband, das mindestens zwei Halswirbel überspannt, ist hier gut geeignet. Ein so breites Halsband sollte weich sein, um die Bewegungsfreiheit der Halswirbelsäule nicht einzuschränken. Zwischen Halsband und Hundehals müssen zwei Finger passen, um den Hund nicht einzuengen. Allerdings muss darauf geachtet werden, dass der Hund nicht mit seinem Kopf aus dem Halsband herausschlüpfen kann.

Sind Brustgeschirre schonender?

Brustgeschirre verlagern den Druck von der empfindlichen Halsregionen auf den Brustkorb des Hundes, was grundsätzlich als schonender gilt. Die gelenkigen Rippen, die Brustwirbelsäule und das Brustbein formen einen knöchernen Käfig zum Schutz der inneren Organe wie Lunge und Herz. Hier kann ein gutsitzendes Hundegeschirr den Zug der Leine günstiger verteilen. Es gibt verschiedene Arten von Brustgeschirren. Die unterschiedlichen Passformen sind hilfreich, um individuell das richtige Geschirr für die Körperform seines Hundes zu finden und auch auf die Verwendung (Hundesport, Assistenz) muss Rücksicht genommen werden.

Nachteile von Hundegeschirren

Fakt ist jedoch, das jedes Hundegeschirr, egal wie gut es sitzt, die Bewegungsabläufe des Hundes etwas verändert. Dies ist nicht immer schlimm und kann sogar als Trainingseffekt genutzt werden, aber ein unpassendes Geschirr kann so schnell zu deutliche Fehlbelastungen führen. Dies endet dann in Muskelverspannungen, Schmerzen und führt schlimmstenfalls langfristig zu orthopädischen Problemen.

So sind Brustgeschirre auch nicht frei von Nachteilen:

- Falsch sitzende Geschirre können die Bewegungsfreiheit der Hunde einschränken

- Wenn das Geschirr scheuert oder zu eng sitzt, kann es zu Verhaltensproblemen oder Fehlhaltungen kommen

- Hundegeschirre werden nicht von allen Hunden toleriert. Viele fühlen sich beim Tragen eines Geschirres unwohl und wollen sich nicht bewegen.

- Einer Studie zufolge können einige Modelle (sogenannte Y-Geschirre) sogar stärker in die Bewegungsabläufe des Hundes eingreifen als erwartet. Hier wurden diese Geschirre mit sogenannten Norwegergeschirren verglichen, die in der Kritik stehen, die Hund sehr in der Bewegung einzuschränken. Das Ergebnis war, auch für die Forschenden, überraschend. In dieser Studie zeigten die Hunde mehr Bewegungseinschränkungen mit dem Y-Geschirr als mit dem Norwegergeschirr, was entgegen der landläufigen Meinung ist. Trotzdem muss hier noch viel intensiver geforscht werden, um solche Aussagen wirklich zu belegen.

- Eine Studie aus Ungarn konnte beweisen, dass alle getesteten Hundegeschirre die Gangmuster der Hunde veränderten. Es gibt also keine Einheitslösung, jedes Geschirr muss individuell angepasst werden. Das bezieht sich sowohl auf die Körperform des Hundes als auch auf die Anwendung im Einzelfall. 

 

Studie an der Universität Jena

Interessant ist, dass erste Studien nahelegen, dass auch sogenannte „ergonomische“ Geschirre zu signifikanter Bewegungseinschränkung des Hundes führen können. Das widerspricht dem Marketing vieler Hersteller. Die Forschungslage ist allerdings noch nicht umfassend – es braucht mehr objektive Daten, auch unter realistischen Alltagsbedingungen.

Wie bewegen sich nun unsere Hunde? Gibt es rassebedingte Unterschiede? Wo darf ein Geschirr anliegen und wo sollte es Freiraum geben?

Unter der Leitung von Prof. Dr. Martin Fischer untersuchte ein Forschungsteam an der Universität Jena die Bewegungsabläufe von über 300 Hunden aus 32 verschiedenen Rassen – von Chihuahua bis Dogge. Dies ist die bislang umfassendste Studie zur Hundebewegung, die veröffentlicht wurde.

Ziel:
Die Studie wollte herausfinden, wie sich Hunde verschiedener Größen und Körperformen tatsächlich bewegen – mit Fokus auf Gelenke, Muskeln und die Wirbelsäule.

Methode:
- Hochgeschwindigkeitskameras
- Marker-basierte Bewegungsanalyse (wie im Profisport)
- Biplanare Röntgenvideografie (zeigt die Bewegung der Knochen im Inneren)

Hier einige der zentralen Erkenntnisse:

- Alle Hunde laufen nach dem gleichen biomechanischen Grundmuster, unabhängig von Rasse oder Körperbau.
- Die Wirbelsäule spielt eine aktiv mit steuernde Rolle bei der Fortbewegung – sie ist nicht nur ein „statisches Verbindungselement“.
- Die Bewegung des Schulterblattes spielt eine wesentlich größere Rolle in der Vorwärtsbewegung der Vordergliedmaße als früher angenommen. Das Schulterblatt rotiert um 35%, die Schulter des Hundes bewegt sich dabei kaum.

Anhand dieser Erkenntnisse lässt sich viel für die Entwicklung von Hundegeschirren ableiten und man muss Hundebewegung völlig neu betrachten.

 

Praxis-Tipps & Empfehlungen

- Wichtig ist nicht nur die Wahl des Führsystems, sondern vor allem die Leinenführigkeit des Hundes. Hier können ein guter Hundetrainer und viel geduldige Konsequenz helfen.
- Hunde sollten idealerweise an beide Varianten gewöhnt sein, um flexibel in verschiedenen Situationen reagieren zu können (z. B. Tierarztbesuch, Freilauf, Krankheiten, etc.)
- Individuelle Passform und Qualität des Geschirrs sind entscheidend – es gibt keine Lösung, die für alle Hunde gleichermaßen passt!
- Idealerweise wird das Bewegungsverhalten des Hundes regelmäßig von einem Bewegungsspezialisten (chiropraktisch arbeitender Tierarzt, Physiotherapeut, etc.) überprüft und Probleme behandelt, bevor sie zu ernsthaften Einschränkungen für den Hund werden. Auf spezielle Bedürfnisse des einzelnen Hundes wie zum Beispiel bestimmte Erkrankungen (Bandscheibenvorfall, Schilddrüsenerkrankung, etc.) kann Rücksicht genommen werden und eine Beratung darüber, welches Führsystem für den individuellen Hund das richtige ist, kann erfolgen.
- Bei der Wahl eines Hundegeschirres sollte man auf fachlichen Rat nicht verzichten. Zusammen mit einem geschulten Berater kann hier das individuell richtige Geschirr gefunden werden.
- Empfehlenswert ist ein Wechsel zwischen unterschiedlichen Geschirren, um eine ausgewogene Belastung des Hundes zu erreichen. Ähnlich einem Jogger, der unterschiedliche Schuhe zum Training nutzt

Als Fazit kann man festhalten, die Frage „Halsband oder Geschirr“ ist keine Glaubensfrage, sondern eine individuelle Entscheidung, abhängig von Hund, Trainingsstand, Gesundheit und Alltagssituation. Es braucht mehr Sachlichkeit und weniger Ideologie in der Diskussion rund um dieses Thema. Die Gesundheit und Lebensfreude unserer Vierbeiner müssen immer an erster Stelle stehen!

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